Heute: 01.06.2006 Aktuelle Ausgabe: 22 - vom: 28.05.2006 Diese Meldung: Ausgabe: 21 - vom: 21.05.2006
Versöhner und Lebemann
![]() Er verkörpert einen sozial engagierten und dialogbereiten Islam: Der Aga Khan erhält den Tutzinger Toleranzpreis Karim Aga Khan IV. erhält am 20. Mai den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing. Er ist das spirituelle Oberhaupt der Ismailiten und ein Muslimführer, der um die Aussöhnung zwischen der islamischen Welt und dem Westen bemüht ist. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hält die Laudatio. Er konferiert mit Staatschefs und Außenministern, ohne selbst einer Regierung anzugehören: »Seine Hoheit Karim Aga Khan lV.«, britischer Staatsbürger und Oberhaupt der Ismailiten, einer islamischen Gemeinschaft, deren 20 Millionen Anhänger über zwei Dutzend Länder verteilt sind. Die Würde, als »His Highness« angesprochen zu werden, hat ihm die Queen selbst verliehen. Doch seine Rolle in der Weltpolitik spielt er nicht als Religionsführer, sondern als Chef des Entwicklungshilfe-Netzwerks »Aga Khan Development Network« (AKDN), der weltweit größten privaten Entwicklungshilfeorganisation. Nach dem Krieg in Afghanistan investierte die AKDN über 80 Millionen Dollar in den Wiederaufbau des Landes, mehr als mancher europäische Staat. Unterstützt werden Länder in Asien, dem Nahen und Mittleren Osten und in Afrika. Er war gerade einmal 20 Jahre alt und studierte in Harvard, als ihn 1957 sein Großvater Aga Khan III. zu seinem Nachfolger bestimmte. Seit seiner Inthronisation am 14. Juli 1957 ist er der 49. Imam der schiitischen Ismailiten und direkter Nachfolger des Propheten Mohammed. Die Ismailiten haben sich im Erbfolgestreit nach dem Tod des 6. Imams im Jahre 765 für den Patriarchen Ismail entschieden, die andere schiitische Linie setzte auf einen Bruder Ismails. Die Gemeinschaft war zunächst in Nordafrika beheimatet, zog dann nach Persien und um 1800 nach Bombay, wo sich der Imam als Aga Khan I. etablierte. Inzwischen leben die Ismailiten vor allem in Pakistan, Indien und Ostafrika, die Residenz der Fürstenfamilie liegt in der Nähe von Paris. Ihr sagenhaftes Vermögen von mehreren Milliarden Euro gründet in der Steuerpflicht der Ismailiten, die ein Zehntel ihres Einkommens an den Imam zu entrichten haben. Das verbriefte Recht, sich einmal jährlich von seinen Anhängern in Gold aufwiegen zu lassen, hat der Aga Khan allerdings nie wahrgenommen. Dafür übt er das Amt des Finanzchefs seiner Religionsgemeinschaftim Stile eines westlichen Konzernmanagers aus. Für Furore sorgt der Aga Khan auch als privater Unternehmer. Der Multimilliardär besitzt einen Rennstall mit rund 500 Pferden im Wert von etwa 250 Millionen und verfügt über einen fast unüberschaubaren Grundbesitz. Anfang der 60er-Jahre erschloss er an der Costa Smeralda auf Sardinien eine Ferienregion mit luxuriösen Hotels, Villen, Golfplätzen und Yachthäfen, die jahrelang Treffpunkt der Society war. Er war der größte Hotelbesitzer Italiens, hielt Anteile an einer Fluggesellschaft und am Fiat-Konzern. Lange Zeit warfen seine Beteiligungen satte Gewinne ab, Mitte der 90er- Jahre jedoch verließ ihn zeitweise das geschäftliche Glück. In deutschen Klatschblättern war er öfter zu sehen, als er im Juni 1998 in zweiter Ehe die ebenfalls geschiedene deutsche Prinzessin Gabriele zu Leiningen heiratete, eine Tochter der Unternehmerin Renate Thyssen-Henne. Die blonde Begum Inaara erregte für einige Jahre das Interesse der Yellow Press, im Oktober 2004 wurde bekannt, dass das Paar die Scheidung eingereicht hat. Die Publicity täuscht darüber hinweg, dass der Aga Khan durch sein Hilfswerk in den vergangenen Jahren zum wichtigen Erneuerer der islamischen Welt avancierte. Seine Stiftung fördert ein einzigartiges Kultur- und Bildungsprogramm entlang der alten Seidenstraße. Sie weiß sich dabei einer »Ethik des Mitgefühls mit den Verletzlichen einer Gesellschaft« verpflichtet und arbeitet für das Gemeinwohl, »unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion«. Die mitfühlende Leistungsethik erinnert an den Calvinismus. Ausbildungsprojekte in Afghanistan beispielsweise sollen den Menschen helfen, ihren Lebensunterhalt ehrenvoll zu verdienen. »Ich glaube nicht, dass die Menschen dem Drogenanbau automatisch nachgehen«, sagte er in einem Radiointerview. »Es ist ihre Antwort auf die Verzweiflung«. Den Westen ermahnt er, bei der Entwicklung der Demokratie in islamischen Staaten mehr Geduld aufzubringen. Er denkt in langen Zeiträumen und zieht seinen Optimismus aus gelungenen Beispielen gesellschaftlicher Veränderung: dass zum Beispiel Indien sich noch vor wenigen Jahren nicht ernähren konnte und heute Nahrungsmittel ausführt. Die Stiftung verkörpert ein islamisches Gegenmodell zum destruktiven Terror der Al Quaida, einer Ausgeburt der wahhabitischen Variante des Islam. Dass »diese Verbrecher« es geschafft haben, das Gesicht der 1,3 Milliarden Muslime zu prägen, macht ihn zornig. Gegen die autoritären Tendenzen innerhalb der islamischen Gemeinschaft kämpft er leise und nachdrücklich für Toleranz und Pluralismus. Auf der anderen Seite fordert er den Westen dazu auf, den Islam besser kennen zu lernen. Erst dann, ist er überzeugt, kann eine bessere Verständigung gelingen.
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